Wenn die Abendsonne auf das historische Kurviertel scheint und das Weiß der weltberühmten klassizistischen Bäderarchitektur sich noch einmal so richtig festlich steigert, ist Bad Ems eine schöne alte Stadt. Dann kann man sich mit etwas Phantasie die großen Zeiten vorstellen, als Kaiser und Könige hier kurten und die Schönen und Reichen viel Geld in der Spielbank ließen. Doch die mächtigen Neonschriften über den Hotels verbreiten eine trügerische Gegenwart. Spätestens mit den siebziger Jahren wurden betuchte Müßiggänger rar. Kuren als Zeitvertreib ist nicht mehr so in, wer hierher kommt, hat wirkliche Probleme. Die ehemals prachtvolle Römerstraße wirkt kleinstädtisch, die Bausubstanz marode. Viele Läden haben dicht gemacht. Und an feuchtkalten Dezemberabenden könnte man hier schier verzweifeln.. Auch künstlerisch wäre nichts los in Ems, gäbe es da nicht das in der internationalen Kunstszene zunehmend als gute Stipendien-Adresse geschätzte Künstlerhaus Schloß Balmoral. Mit der Internationalität ist es nun leider vorbei. In seinem zehnten Jahr wurde das rheinland-pfälzische Vorzeigeinstitut vom fast erreichten Gardemaß auf ministeriell verordnetes Provinzmaß zurückgestutzt, das heißt, es ist ab 2005 im wesentlichen den kunstschaffenden Landeskindern vorbehalten.
Voluptuos Bad Ems?“ Das als Frage nach dem möglichen genießerischen und sinnlichen Potential des Ortes formulierte internationale (!) Kunstprojekt wirkte da wie ein unverhofft aktueller Kommentar. Die auf bequemen kleinen Wegen durch den öffentlichen Raum der Bäderstadt zu erreichenden Eingriffe ins urbane Gefüge waren allerdings ein von den Künstlern selbst organisiertes Nebenprodukt des Stipendiatenlebens. Das in Berlin lebende Organisationsgenie Pfelder, Balmoral-Stipendiat 2004, hat es mit seinem irakischen Ko-Stipendiaten Mohamed Abdulla, dem Schweden Stefan Lundgren und Jan Philip Scheibe (Deutschland) durchgezogen. Oder vielmehr eine oberirdische Tiefenbohrung durch die Fatalitäten des um Neupositionierung ringenden Kurortes vorgenommen, die sichtbaren Zeichen des Verfalls analysiert und die ebenso sichtbaren Spuren des alten Glanzes bedacht.
GLANZ steht in verspiegelten Großbuchstaben denn auch inmitten einer üppig stukkierten Kartusche auf einer Hauswand in unmittelbarer Nähe des Bahnhofsplatzes, den man erst jüngst zum leer gähnenden Unort ausgebaut hat. Und da Jan Philipp Scheibes Arbeit alles ausplaudert, was ihr das Wetter und die Tageszeiten erzählen, wechseln die Farben und Eindrücke von Weiß über Graumeliert bis Tiefschwarz. Wenn man Glück hat, glänzt der Glanz wie er eben glänzen soll. Ein bisschen vom früheren Emser Glamour möchte man für die mit aparten Grotesken bemalte Kassettendecke im Eingangsbereich des zum Haltepunkt degradierten Bahnhofs wünschen, der kaum noch ahnen lässt, dass er einst eine Station an der Strecke Paris – Moskau war. Just hier hat Mohamed Abdulla zwei mit duftendem Lavendel gefüllte, organoid ausbeulende Duftsäcke aufgehängt. Auf dass alle Motten, die echten wie die metaphorischen, das Terrain meiden möchten? „Ornamentale Skulpturen“ nennt der in Amsterdam wohnende Künstler sein skurril verbeulten Objekte aus Gips und Schaumstoff an der Fassade des Statistischen Landesamtes. Auch hat er die (sinnlose) Behauptung „Der Kaiser kommt nächsten Sommer“ bebildert, indem er im Mittelrheinischen Landesmuseum Koblenz einen Gipsabguß vom Pferdschweif des Modells für die Reiterstatue Wilhelms I. vom Deutschen Eck nahm, das flatternde Teil in einen Schraubstock steckte und in einem aufgegebenen Laden in der Römerstraße ins Schaufenster stellte, zusammen mit einer Installation aus Topfpflanzen und skulpturalen Gipsgebilden, die ein kümmerliches, von Schreibtischlampen künstlich erhelltes Leben fristen. Wilhelm, im zivilen Gehrock auf einem Sockel im Kurpark stehend, ist eine der liebsten Mythen der Stadt (und das nicht nur wegen der fatalen „Emser Depesche“). Und wenn Jan Philip Scheibe an der Uferpromenade in fünf Kugellampen die weißen durch rote Birnen ersetzt und die Sichtachse zwischen Kaiser- Denkmal und Spielbank durch das brennend rote Licht-und Wortspiel WANDELN stört, was jede Deutung zwischen Flanieren und Veränderung zulässt, und in dem tristen Hinterhof Römerstraße 5 mittels neonblauer „quellen“-Schrift auf den dort hinter einem Bretterverschlag stillgelegten, elegant gefassten Mineralbrunnen aufmerksam macht, ja, da kommt der Spaziergänger schon in ein verzwicktes Sinnieren.
Wortspiele, Aufforderungen, kryptische Einlassungen und leiser Spott kennzeichnen die temporären Interventionen des Quartetts. Im von der Straße einsehbaren Eingangsbereich des herrlich verkommenen ehemaligen Nobelhotels Schützen-Hof , das nur deshalb kein Grandhotel wurde, weil ihm dazu ein paar Meter Straßenfront fehlten, liefen nonstop Videoprojektionen, worauf Stefan Lundgren Puppenhäuser als „Bilder einer Ausstellung“ zwischen Wirklichkeit und Wahn paradieren ließ. Dunkel musste es sein, wenn „Voluptuos Ems? “ zum Leuchten kommen sollte. Das vorwurfvollste Licht kam vom alten Kurhotel Balzer auf der anderen Lahnseite, von dessen Namenszug Pfelder nur ein kümmerliches „Balz“ übrig ließ, was wir inhaltlich nicht überbewerten wollen. Das zur gleichwohl denkmalsgeschützten Ruine verkommene, rüde ausgeplünderte Balzer wurde so etwas wie der locus classicus des Emser Niedergangs, sein letzter Eigentümer, ein weltmännisch auftretender Ladykiller, Eintänzer, Doppelspion und Cadillac-Fahrer, zur nächst dem alten Kaiser vielleicht besten städtischen Legende. Als Werner Unverzagt 1989 seine Laufbahn als Hotelier beendete, richtete er das Haus wie in Glanzzeiten fein für die Gäste her, schloss dann einfach zu und ließ bis zu seinem Tod alles, wie es war. Mit Einbruch der Dunkelheit wurde das aus kaputten Fenstern magisch erglühende „Balz“ zum weithin sichtbaren Fanal. Pfelders flammende Wiederbelebung war eine sehr zweideutige, irgendwo zwischen festlicher Illumination und düsterem Brand verortete. Als ob man eine schönere Vergangenheit beschwören könnte, einfach nur so, mit Farbe und Licht.