„Die Zeit vergeht nicht. Tag und Nacht verschmelzen, ständig geht das Licht an und aus. Kein Schlaf. Wie spät ist es? Seit Ewigkeiten kein Tageslicht mehr. Wie lange bin ich schon hier? Wie lange muß ich das noch ertragen?“
Die Intervention
An der langen Rückwand des Cafés der Gedenkstätte Hohenschönhausen werden exemplarisch die Tage in Haft gezählt. Die ganze weiße Wand wird bedeckt mit grauen Zählstrichen, jeder einzelne von Hand mit Bedacht gezogen. Hunderte, tausende Striche künden von der unendlichen Menge leidvoller Tage, die Menschen in der Haft im Stasi Gefängnis Hohenschönhausen verbringen mussten.
Auf dieser mit Strichen bedeckten Wand wird zusätzlich eine große Uhr installiert, die unübersehbar quälend langsam läuft und nie die richtige Zeit anzeigt. Das Ziffernblatt ist völlig weiß, keine Zahlen oder Striche sind zu sehen. Minuten- und Stundenzeiger brauchen doppelt so lang für einen Umlauf wie normale Uhren. Der rote Sekundenzeiger bewegt sich ebenfalls mit einer deutlichen Verzögerung vorwärts. Die Zeit wird manipuliert und dehnt sich, so dass sich die Museumsbesucher zeitlich nicht mehr orientieren können.
Der Hintergrund
Gefangene im Stasi Gefängnis Hohenschönhausen wurden bewusst völlig im Unklaren gelassen, wo sie sich befanden. Jegliche Orientierung, auch eine zeitliche, wurde ihnen unmöglich gemacht. Die Gefangenen wussten nicht wie spät es ist, ja oft nicht einmal, ob Tag oder Nacht ist.
Zeit wurde unendlich gedehnt, sie verging nicht. Aus Tagen wurden Jahre. Und doch versuchten die Gefangenen irgendwie eine Kontrolle über ihre Zeit zu behalten. Sie versuchten ihre Hafttage zu zählen, wie man noch heute an den Ritzungen an manchen Zellenwänden sehen kann. Jeden Tag fügten sie einen neuen Strich hinzu. Diese so bewusst und mit unendlich viel Zeit gesetzten Striche erzählen durch ihre individuellen Handschriften eindrücklich von den Geschichten, Gefühlen und Qualen, die hier von den Gefangenen durchlitten wurden. Sie erzählen aber auch von dem Willen der Menschen, die Kontrolle über ihre Zeit und somit über sich selbst zu behalten und dem totalen Kontrollverlust etwas entgegen zu setzen.
Die Tagesstriche sind Zeichen der Auflehnung und des Widerstandes gegen ein Haftsystem, das versucht jegliche Identität des inhaftierten Menschen auszulöschen.
Umsetzung
Tagesstriche
Auf die weiße lange Rückwand des Cafés werden überhalb der Bänke bis zur Decke hinauf tausende von Zählstrichen per Hand mit Bleistift (Härte 4B) gezeichnet. Jeweils vier senkrechte die mit einem schrägen diagonalen Strich gekreuzt werden. Die ganze Wand wird bedeckt. Jeder Strich wird bewusst mit der Hand gezogen. Die hierfür gebrauchte Zeit ist essentieller Bestandteil der künstlerischen Intervention.
Die Bleistiftstriche werden so dann mit einem Sprayfixativ fixiert. Danach wird die komplette Wand mit einer transparenten Dekolasur (Caparol, Nassabriebklasse 2) überstrichen, so dass die Bleistiftzeichnung abriebfest und abwaschbar ist.
Uhr
An der gestrichelten Wand wird eine große Uhr (Ø 50 cm) installiert, deren Ziffernblatt komplett weiß ist und keinerlei Ziffern oder Striche besitzt. Die schwarzen Stunden- und Minutenzeiger werden über ein Steuerungsmodul verlangsamt. Sie werden nur alle zwei Minuten angesteuert, so dass sich die Zeiger doppelt so langsam wie bei normalen Uhren bewegen.
Eine Minute dauert somit 120 Sekunden, ein voller Umlauf des Minutenzeigers zwei Stunden und ein voller Umlauf des Stundenzeigers tatsächlich 24 Stunden.
Der rote Sekundenzeiger wird über ein zweites Signal unabhängig von Stunden- und Minutenzeiger abgebremst. Auch er bewegt sich deutlich langsamer vorwärts, versetzt zu den anderen Zeigern. Eine Minute, also ein Umlauf, dauert für den Sekundenzeiger ca. 100 Sekunden.
Das Steuerungsmodul ist ca. 30 x 20 x 10 cm groß und kann gut unter der an der Wand entlang laufenden Sitzbank verborgen werden. Die Uhrinstallation benötigt einen Netzanschluß und eine Kabelverbindung vom Steuerungsmodul zur Uhr, die hinter der doppelt beplankten Caféwand im Hohlraum geführt werden kann.
Die Uhr ist wartungsfrei und der Stromverbrauch minimal und somit zu vernachlässigen.